Cover
Titel
Die Prominenten im Neuen Testament. Ein prosopographischer Kommentar


Autor(en)
Metzner, Rainer
Reihe
Novum Testamentum et Orbis Antiquus 66
Erschienen
Göttingen 2008: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
695 S.
Preis
€ 84,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kay Ehling, Staatliche Münzsammlung München

Den Oscar Wildeschen Aphorismus aufgreifend, dass Persönlichkeiten, nicht Prinzipien die Zeit in Bewegung bringen (S. 5), hat Rainer Metzner einen prosopographischen Kommentar zum Neuen Testament vorgelegt, der den seit Jahren anhaltenden Boom prosopographischer Arbeiten in den Geschichts- und Bibelwissenschaften fortsetzt. Im Unterschied zu einer klassischen Prosopographie wählt Metzner methodisch die Form eines prosopographischen Kommentars, die erfassten Personen werden also nicht in alphabetischer Reihenfolge von Agrippa I. bis Zachäus, sondern nach ihrem jeweiligen Auftreten innerhalb des Neuen Testaments vom Markusevangelium bis zur Offenbarung des Johannes vorgestellt. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass dem Benutzer in sehr übersichtlicher Form ein personengeschichtlicher Stellenkommentar geboten wird, der punktuell benutzt werden kann. Nachteilig wirkt sich aus, dass der Leser dadurch bei manchen Personen zu einigem Hin- und Herblättern gezwungen ist. So wird etwa über Herodes Antipas im Zusammenhang mit Mk 6,14–28 (S. 29ff.), Mk 8,15 (S. 45ff.), Mt 11,7–9 (S. 161ff.), Mt 14,1–12 (S. 165ff.), Lk 3,1–2 (S. 231ff.), Lk 3,19–20 (S. 242ff.), Lk 7,24–26 (S. 244ff.), Lk 13,31–33 (S. 260ff.), Lk 23,6–12 und 13–16 (S. 286ff.) sowie Apg 4,25–28 (S. 346ff.), also an zehn Stellen des Buches gehandelt.

Allerdings lohnt das Blättern, denn Metzner erweist sich in jeder Hinsicht als kenntnisreicher Kommentator. Insgesamt sind 61 Personen erfasst, darunter die direkt oder indirekt im Neuen Testament erwähnten Kaiser Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius, Nero und Domitian, hohe römische Funktionäre wie die Statthalter Quirinius, Pontius Pilatus, Sergius Paulus, Gallio, Felix oder Porcius Festus, jüdische Könige und Fürsten wie Herodes der Große, Antipas, Archelaus und Agrippa II., hohe und höchste jüdische Würdenträger wie Jairus, Kaiphas, Hannas, Josef von Arimatäa, Nikodemus, Krispus, Sosthenes, Skevas und Hananias, und viele größere und kleinere Nebendarsteller wie Barabbas, Theudas und Judas oder Simon, Lydia und Demetrius. Nicht eigens behandelt werden konnten Johannes der Täufer, Jesus, Maria, Maria Magdalena, die Jünger, Paulus oder andere Personen der frühen Missionszeit wie Apollos und Barnabas (S. 20f.). Jedem Abschnitt ist eine eigene Übersetzung der einschlägigen Bibelstelle vorangestellt. Auf diese folgt eine biographische „Profilskizze“, die, soweit möglich, auf nichtbiblische Quellen zurückgreift und gegebenenfalls durch Exkurse erweitert wird, an deren Ende sich ein Literaturverzeichnis findet. Daran schließt sich ausgehend von der Frage, „in welchem Licht die genannten prominenten Personen im Text gedeutet werden“ (S. 16), ein interpretierender Kommentar an.

Metzner bewegt sich dabei auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes und vertritt historisch plausible Positionen. Die Hinrichtung Johannes des Täufers datiert er in die Zeit vor 30 (S. 33), nicht ins Jahr 36 wie zuletzt mehrfach wieder angenommen. Die Politik des praefectus Iudaeae Pontius Pilatus wird ausgewogen beurteilt: „Die Feldzeichenepisode zeigt, dass er im Konfliktfall auf gewaltsame Aktionen verzichten und durchaus politisch verantwortlich entscheiden konnte“ (S. 108). In Barabbas erkennt Metzner zu Recht einen Zelotenführer, der möglicherweise mit jenen beiden namenlosen „Räubern“ verbündet war, die mit Jesus gekreuzigt wurden (S. 126f.). Bei der Interpretation von Mt 11,7–9 schließt sich der Autor dem Vorschlag Theißens an, nach dem die spöttische Charakterisierung des Antipas als „schwankendes Schilfrohr“ sich mit dessen ersten, in Tiberias geprägten Münzen erklärt, die ein Schilfrohr auf der Vorderseite zeigen (S. 162f.). Die lukanische Weihnachtsgeschichte wird als „Gegengeschichte“ zur augusteischen Friedenspropaganda gelesen, mit deren Sprache Lukas bestens vertraut war (S. 221). Im Kontext der Frauenliste in Lk 8,1–3 macht Metzner darauf aufmerksam, dass kein anderer Evangelist so häufig von Angehörigen der Herodesfamilie spricht wie Lukas (S. 252 mit den Belegen). Dass das Verhältnis zwischen Antipas und Pilatus gespannt war, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass Pilatus im Jahr 28 oder 29 galiläische Festpilger hatte umbringen lassen (Lk 13,1), eine Tat, gegen die Antipas vielleicht öffentlich protestierte (S. 290). Auf den zyprischen Statthalter Sergius Paulus (Apg 13,7) wird die Inschrift CIL VI 4, 2, 31545 bezogen, die unter anderem einen curator alvei et riparum L. Sergius Paullus unter Claudius nennt (S. 410). Metzner vermutet in diesem einen der jüdischen Religion nahe stehenden Gottesfürchtigen und erkennt in dem jüdischen Propheten Barjesus (Apg 13,6–7) einen Hoftheologen und -astrologen des Sergius Paul(l)us, der diesem „als Berater zur Seite stand und ihm die Gunst der himmlischen Mächte vermittelte“ (S. 413). Bei der Frage nach dem sozialen Status der gottesfürchtigen Lydia aus Thyateira geht der Autor richtigerweise davon aus, dass es sich bei ihr nicht um eine einfache Färberin oder Textilarbeiterin, sondern – wie in Apg 16,14 zu lesen – um eine besser situierte Kauffrau handelt (S. 419ff.). Den jüdischen Hohenpriester Skevas (Apg 19,14) fasst Metzner als Angehörigen der priesterlichen Führungsschicht in der ephesischen Diaspora auf, nicht als Repräsentanten der Jerusalemer Priesterschaft. Skevas und seine Söhne waren auch keine fragwürdigen Scharlatane (so ja Roloff), „sondern qualifizierte Beschwörer, die mit magischen Formeln Dämonen austreiben“ (S. 454).

Die Prosopographie klingt in einem mit „Stratigraphie der Prominenz“ überschriebenen Kapitel aus (S. 625–637). Deutlich wird, dass die „überwiegende Mehrheit der prominenten Personen im Neuen Testament der Oberschicht zugehört“, in der es so gut wie keine Christen gab (S. 636). „Kein einziger Christ im Neuen Testament entstammte dem kaiserlichen oder dem ritterlichen Adel, dem senatorischen Adel lediglich der zyprische Statthalter Sergius Paulus“, wenn man der Erzählung des Lukas vertrauen darf (S. 636). Zwar kennen wir aus domitianischer Zeit dem Judentum nahe stehende bzw. mit dem Christentum sympathisierende Angehörige des Kaiserhauses (S. 592f.)1, dennoch stammte, wie Metzner am Schluss seines Buches feststellt, die Mehrheit der frühen Christen „aus den mittleren bis unteren Schichten oberhalb des Existenzminimums. Sie waren Bauern, Lohnarbeiter, Kleinbürger, Handwerker, Gewerbe- und Handeltreibende, Sklaven und vor allem Frauen“ (S. 637).

Wie deutlich geworden sein dürfte, hat Metzner eine gewaltige Stoffmenge zu einem überaus nützlichen prosopographischen Kommentar verarbeitet, den man gerne und mit Gewinn zur Hand nimmt.

Anmerkung:
1 Vgl. Cass. Dio. 67,14,1–2; Suet. Dom. 15,1; Euseb. hist. eccl. 3,18,4.

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